Was war: Neue Seuchen – alte Ängste

Von der Pest bis Corona – eine Spurensuche im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt

„Es ist etwas Neues, das uns beunruhigt und fasziniert, aber gleichzeitig ist es auch etwas Altes,“ erklärt Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger, die Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt mit Blick auf die aktuelle „Corona-Krise“. Das Virus ist neu und Impfstoffe müssten erst entwickelt werden, aber das Phänomen einer Seuche, mit der sich eine Gesellschaft arrangieren muss, gäbe es schon seit Jahrtausenden. Schon in der Antike werden Seuchen beschrieben und so ist die Geschichte der Menschheit auch eine Geschichte von Epidemien und Pandemien. Vermutlich sind sie entstanden, als der Mensch sesshaft wurde und begann, eng mit Nutztieren zusammen zu leben.

Mit solchen Bildmontagen (das Spucken des älteren Herrn wurde nachträglich “dramatisiert”) hat man die Bevölkerung zum richtigen Verhalten z.B. bei Tuberkulose informiert. Foto: DMMI

„Jede Gesellschaft hat aus dem Wissen ihrer Zeit versucht, sich die Krankheit zu erklären und gute Lösungen zu finden, wie man die Krankheit überlebt und die Ausbreitung eindämmt“, erklärt die Medizinhistorikerin. Mit spätestens mit der Aufklärung ersetzte dabei die Wissenschaft den Glauben und Seuchen wurden nicht mehr als Strafe Gottes angesehen. Die Lehrvorstellungen vom menschlichen Körper veränderten sich weiter und doch findet man in der Medizingeschichte Parallelen zur aktuellen Krise. Das „Warum“ bewegte die Menschen schon immer und ist eine zentrale Frage, wenn eine Seuche auftritt. „Aber diese Frage können wir uns bei Corona nicht in der Dringlichkeit stellen wie etwa bei der Pest, weil um uns herum die Menschen nicht sterben“, erklärt die Museumsdirektorin. „Was unser Leben aktuell beeinträchtigt ist ja nicht die Erkrankung selbst, sondern die Maßnahmen gegen die Erkrankung.“

Die Pest – das große europäische Trauma

Wenn man an Seuchen denkt, fällt den meisten wohl die Pest als die Seuche schlechthin ein. Die katastrophale Epidemie Mitte des 14. Jahrhunderts forderte in Europa schätzungsweise 25 Millionen Opfer und ist als der Schwarze Tod in die Geschichte eingegangen. Die Krankheit tauchte in Europa immer wieder auf, zuletzt 1837 auf der griechischen Insel Poros. In Deutschland wurde sie zuletzt 1713 im Berchtesgadener Land und in der Region Salzburg registriert. Trotzdem ist die Krankheit nicht besiegt, es gibt sie heute noch: „Dass die Pest aus Europa verschwunden ist, ist kein Erfolg der Medizin“, betont Ruisinger. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Übertragungswege einfach nicht mehr funktionierten, etwa weil es keine Ratten mehr gab, auf denen die Flöhe, die den Erreger übertragen, „wohnen“ konnten bevor sie nach dem Tod der Ratte auf den Menschen übersprangen.

Robert Koch – ein Name in den Schlagzeilen

Ein Name, der derzeit immer wieder in Zusammenhang mit Covid-19 auftaucht, ist Robert Koch (1843 – 1910). Das nach ihm benannte Institut erfasst derzeit die aktuelle Lage, bewertet alle Informationen, schätzt das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland ein und stellt Empfehlungen für die Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Robert Koch ist der Name in Deutschland, wenn es um die Mikrobiologie und die Erforschung von Bakterien geht. Als erster hat er erkannt, dass ansteckende Krankheiten durch kleine, lebende Erreger übertragen werden und nicht durch „Dünste“ oder „verdorbene Luft“. Es gelang ihm schließlich die Tuberkulose auf solch ein Bakterium zurück zu führen. Damit war der Übertragungsweg klar: Infizierte konnten über Tröpfcheninfektion, also das Aushusten, andere anstecken. „Man hat sie aber nicht behandeln können!“, betont die Professorin. „Wirkliche Tabletten gegen die Tuberkulose gibt es erst seit den 1950er Jahren.“ So lange ist das noch gar nicht her. Und damit auch nicht eine andere Erkrankung, die nicht auf Bakterien, aber auf einen Virus zurück zu führen ist: In den 1950er Jahren erkrankten Tausende Deutsche an Kinderlähmung. Heute ist die Krankheit hierzulande dank Impfung ausgerottet.

Bekämpfung der Seuche auf Kosten der Freiheit?

Wo sind die Grenzen, wenn es um den Schutz der Allgemeinheit geht? Auch das ist kein neues Thema. Heute sorgen sich Menschen um die Aufweichung des Datenschutzes oder Bürgerrechte angesichts der Corona-Maßnahmen. In den 1820er Jahre begann man als Schutz gegen die Übertragung der Pest, Briefe zu räuchern. Dazu musste man sie – leider (?) – auch öffnen. Damit wurde das Briefgeheimnis ausgehebelt, was manch einem durchaus gelegen kam. Und selbst das Thema Panik angesichts einer drohenden Erkrankung, was sich z.B. in „Hamsterkäufen“ niederschlägt, hat es auch in der Vergangenheit gegeben. So machte man sich mit Karikaturen über die Leute lustig, die sich allzu sehr in die Krankheitsvermeidung hinein steigerten.

Das “Portrait einer Cholera-Präservativ-Frau” aus den 1830er Jahren karrikiert den übertriebenen Umgang mit Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Cholera. So trägt sie z.B. Schuhe mit Wärmflaschen, ein Collier aus Salzsteinen und Pfefferkörnern. “In den Haarflechten hat sie Essigflaschen, Chlorkalk-Töpfe und Suppentassen stehen oben an der Spitze eine kleine Windmühle, um die Luft zu reinigen”. Auch ihr Hund ist entsprechend ausgerüstet. Foto: DMMI

In der Sammlung des Medizinhistorischen Museums befinden im Übrigen sich etliche Objekte, die ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit Seuchen sind. In der Dauerausstellung, die voraussichtlich September eröffnet wird, bekommt z.B. ein Pocken-Schild einen Platz. Damit wurden laut Stadtratsanordnung Häuser gekennzeichnet, in denen Pockenkranke lebten, die wegen mangelnder Krankenhausplätze zu Hause bleiben mussten. Oder der „Blaue Heinrich“, ein Fläschchen aus Kobaltglas, in das Tuberkulose-Kranke hinein spuckten: „Ich bin mir sicher, dass die Besucher ganz anders vor die Objekte treten werden, als sie das noch vor einen Jahr gemacht hätten. Weil das Thema jetzt etwas mit uns zu tun hat und kein merkwürdiges Verhalten von Menschen ist, die es nicht besser wussten.“

Spuckflasche “Der blaue Heinrich”. Foto: Deutsches Medizinhostorisches Museum Ingolstadt (DMMI)

Seuchengeschichte online

Das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingolstadt ist bis 19. April für Besucher geschlossen. Aber im Internet bietet es – passend zur Corona-Pandemie – eine seuchenhistorische Objektgalerie. Bis auf Weiteres werden hier alle ein, zwei Tage Objekte aus der Sammlung präsentiert und die dazu gehörige Objektgeschichte erläutert, bei der sich meist auch eine Verbindung zu den aktuellen Covid-19 Erfahrungen herstellen lässt: http://www.dmm-ingolstadt.de/aktuell/covid-19-history.html

Als social-media-taugliche Kurzfassung werden die Geschichten gleichzeitig via facebook und instagram (#dmmingolstadt)veröffentlicht.